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Anmerkungen
zur
Geschichte und Gegenwart des
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Yoga
in Deutschland
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von
Dr.Christian Fuchs
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Zu
einem der interessantesten
Kapitel in der kulturellen Begegnung zwischen
Indern und Deutschen gehört sicherlich die Rezeption des
indischen Yoga in Deutschland. Wir
beobachten in der Bundesrepublik vor allem seit dem Ende
der sechziger Jahre einen wahren Yoga-Boom, der bis heute
unvermindert anhält. Aus dieser Tatsache schließen
manche Beobachter, die Aufnahme und Umsetzung des
indischen Yoga in Deutschland sei neueren Ursprungs. Dass dem nicht so ist,
dass Yoga in unseren Breiten vielmehr
seit über einhundert Jahren systematisch praktiziert
wird, soll der folgende Beitrag zeigen. Dabei lassen wir
nicht nur die wichtigsten Stationen der hiesigen
Yoga-Geschichte Revue passieren, sondern es soll auch der
zentralen Frage nachgegangen werden, ob – und falls ja,
wie – der hierzulande praktizierte Yoga gegenüber
seinem indischen „Original“ verändert worden ist.
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1.1 Der
indische Yoga im Spiegel früher europäischer
Reiseberichte
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Die
Geschichte der Yoga-Rezeption in Deutschland, die gegen
Ende des 19. Jahrhunderts greifbar wird, hat eine längere
Vorgeschichte. Diese Vorgeschichte umfaßt die ganze
Zeitspanne der neuzeitlichen Erschließung des indischen
Yoga durch die Europäer, und hier besonders durch die
Deutschen.
Wie
allgemein bekannt sein dürfte, setzte mit Gründung der
britischen und niederländischen Ostindiengesellschaften
ab 1600 ein reger Reiseverkehr nach Indien ein. Einzelne
Kaufleute und Missionare verfaßten in der Folge ausführliche
Berichte über ihre Reisen. Ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts
finden sich in den literarischen Zeugnissen dieser
Indienfahrer vermehrt Hinweise auf sogenannte
„Fakirexperimente“.
„Fakirismus“
war das
Schlagwort, unter das in jenen Reiseberichten ganz
unterschiedliche Phänomene der indischen Kultur
subsumiert wurden. Indische Yogins und Entsager fielen
genauso unter diese Kategorie wie landestypische Bettler,
Asketen, Zauberer oder Akrobaten. Noch 1908 – und selbst
1921 in der Neuauflage - hat Richard Schmidt sein
umfangreiches Buch über die „Yoga-Lehre und Yoga-Praxis
nach den indischen Originalquellen“ (Untertitel) mit dem
- verräterischen und offensichtlich erfolgreichen -
Haupttitel „Fakire und Fakirtum“ versehen.
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1.2 Die
wissenschaftliche Aufbereitung des Yoga
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Während
sich das undifferenzierte Bild über den indischen Yoga
im Alltagsbewußtsein der Deutschen also teilweise bis
in die Moderne hielt, bemühte sich die akademische
Forschung seit Mitte des 18. Jahrhunderts zunehmend
um eine wissenschaftliche Aufbereitung des Themas. Das
bedeutete zu jener Zeit hauptsächlich philologische
Arbeit, nämlich die Erlernung der indischen
Sanskrit-Sprache und die Exploration der greifbaren
literarischen Quellen.
Getragen
vom Enthusiasmus des aufkommenden „Orientalismus“
machten sich zunächst Pioniere wie Johann Gottfried Herder
oder die Gebrüder von Schlegel an die Entschlüsselung
indischer Yoga-Texte. So brachte Wilhelm von Schlegel, der
1818 auch den ersten deutschen Lehrstuhl für Indologie in
Bonn besetzte, schon 1823 die erste kritische Ausgabe der „Bhagavadgita“
mit einer lateinischen Übersetzung heraus. Ein weiteres
Grundlagenwerk aus deutscher Feder war die im Jahre 1896
publizierte Studie über „Sāmkhya und Yoga“ von
Richard Garbe. Drei Jahre zuvor hatte Hermann Walter
in München seine Dissertation über den wichtigen
Yoga-Text „Hathayogapradīpikā“
vorgelegt.
Im
Deutschland des ausgehenden 19. Jahrhunderts finden
sich in Bezug auf den indischen Yoga somit drei
unterschiedliche Gruppen:
-
die
relativ kleine Gruppe der (Fach-)Wissenschaftler,
die mit einer zunehmenden Zahl qualifizierter Studien
begonnen hatte, die philosophischen Lehren, religiösen
Intentionen und psycho-physischen Techniken des
indischen Yoga zu erforschen. Eingeschlossen in ihren
akademischen „Elfenbeinturm“ hatte diese Gruppe
aber wenig Einfluß auf das gesellschaftlich
verankerte Yoga-Verständnis;
-
die
große Masse der Bevölkerung, die weitgehend
am überkommenen Bild des Yoga festhielt. In den Köpfen
vieler Deutscher saß - und sitzt teilweise noch immer
- das Bild vom indischen Yogin als dem Typus des
asketischen Büßers, artistischen Gauklers oder
zaubermächtigen Fakirs;
-
die
kleine Schar von Pionieren, die in jenen Tagen
mit einer ersten systematischen Rezeption von
Yoga-Praktiken begann.
Dieser
interessanten Gruppe wollen wir uns im folgenden zuwenden.
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1.3 Die
beginnende Rezeption des Yoga in Deutschland (bis
1918)
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Mit
dem ausgehenden 19. Jahrhundert wird erstmals eine
organisierte und systematische Rezeption des Yoga in
Deutschland nachweisbar. Diese Rezeption kristallisierte
sich zunächst in der Theosophischen Szene. Am
17.11.1875 war in New York von Henry Steel Olcott,
Helena Petrowna Blavatsky und William Quan Judge
die erste „Theosophische Gesellschaft“ gegründet
worden. Frau Blavatsky (1831-1891), die schon damals als
die Grand Old Lady der Theosophie galt, ging erst in ihrem
Spätwerk „Die
Geheimlehre“ näher auf den indischen Yoga ein.
Die Aussagen, die sie dort zum Thema machte, genügten
aber, um der theosophischen Bewertung des Yoga für lange
Zeit eine bestimmte Richtung zu geben.
Frau
Blavatsky hielt die Zeit für gekommen, die geistigen
Techniken des indischen Rāja-Yoga für ihre Anhänger
zu empfehlen. Wie wir heute wissen, war es vor allem der
indische Yogin Svāmī Vivekananda, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts
den Begriff „Rāja-Yoga“ in Indien popularisiert hatte.
Mit dem Terminus „Rāja-Yoga“ bezeichnete Vivekānanda
die Traditionen und Techniken auf der Grundlage der Yogasūtras
des Patañjali.
Mit
Svāmī Vivekānanda teilte Frau Blavatsky die Wertschätzung
des Rāja-Yoga und seiner meditativen Techniken. Und mit
Vivekānanda teilte sie auch die Ablehnung des sogenannten Hatha-Yoga,
jener relativ späten Entwicklung des indischen Yoga, die
zunächst vor allem am physischen Geschehen des Übenden
ansetzt. Frau Blavatsky ging aber noch weiter. Der Hatha-Yoga,
der unter anderem die Vielzahl der uns heute so geläufig
erscheinenden Körperübungen (āsana) und Atemtechniken (prānāyāma)
hervorgebracht hat, galt ihr als höchst gefährlich und
moralisch äußerst verwerflich. Sie ging sogar so weit,
dem Hatha-Yoga „dämonische“ Kräfte zu unterstellen
und warnte in diesem Sinne:
„Ich
möchte jedem Schüler strengstens davon abraten,
irgendeine dieser Hatha Yoga Übungen zu versuchen, denn
er wird sich entweder gänzlich ruinieren oder sich selbst
soweit zurückwerfen, dass es nahezu unmöglich sein wird,
den verlorenen Boden in dieser Inkarnation
wiederzugewinnen ... Hütet euch sage ich!“
Mit
ihrer Dämonisierung des Hatha-Yoga setzt sich Frau
Blavatsky dann aber doch deutlich von dem Yoga-Ansatz
Vivekānandas ab. Bei der Theosophin zeigen sich hier
starke Einflüsse christlich-inspirierten Gedankengutes.
Damit erhalten wir ein erstes Indiz für die zu
beobachtende Transformation des indischen Yoga bei
seiner Aufnahme im Westen.
Auf
deutscher Seite war es vor allem der Theosoph Franz Hartmann
(1838-1912), der viel für die Ausbreitung des
Yoga-Gedankens tat. Mit zahlreichen Artikeln in seiner
Zeitschrift „Lotusblüten“ (ab 1908: „Neue Lotusblüten“)
unterstützte er das von Frau Blavatsky gelehrte Yoga-Bild
tatkräftig. Auch für Hartmann ist der Hatha-Yogin der Übelsten
einer: „Von Täuschungen umgeben, selbst eine Täuschung,
kümmert er sich nicht um die Wahrheit und dient der Lüge,
wenn sie ihm dienlich dünkt.“
Fassen
wir zusammen, welche wichtigen Elemente der prämodernen
indischen Yoga-Tradition die frühe deutsche Theosophie
weitgehend übernommen hat:
-
Die
Theosophen pflegen das traditionelle Lehrer-Schüler-Verhältnis
mit einem deutlichen Hierarchie-Gefälle zwischen dem
- idealiter - verehrten Lehrer (guru) und demütigen
Schüler (cela).
-
Die
Theosophen geben ihre Yoga-Lehren ebenfalls als
Geheimwissen weiter und tradieren damit die
esoterische Unterrichtspraxis Indiens (im Gegensatz
zur exoterischen Yoga-Vermittlung vieler moderner
Yoga-Schulen im Westen).
-
Die
Theosophen übernehmen auch zentrale Grundkonzepte
der indischen Yoga-Philosophie; etwa das Konzept
des „Kreislaufs der Wiedergeburten“ (samsāra), das
Prinzip der „Vergeltung der Tat“ (karma) oder die
Idee der „Befreiung“ (moksha) aus dem leidhaften
Zustand des weltlichen Daseins, die von nahezu allen
indischen Yoga-Systemen als eigentliches Ziel des Yoga
formuliert wurde.
Dagegen
zeigen sich in den folgenden Bereichen signifikante Abweichungen
theosophischer Konzepte von den inhaltlichen Vorgaben des
prämodernen Indien:
-
Die
(frühen) Theosophen verwerfen die Techniken des
indischen Hatha-Yoga völlig. Teilweise wird
dieses Yoga-System sogar richtiggehend dämonisiert.
-
In
den literarischen Werken namhafter Theosophen zeigt
sich eine Überformung des Yoga mit
christlich-inspirierten Elementen. Besonders der
yogische Befreiungszustand (moksha, kaivalya) wird bei
vielen westlichen Theosophen mit
christlich-angehauchter Terminologie bezeichnet und
gedeutet.
-
Nicht
wenige theosophische Schriften halten eine auffällige
Distanz zu den Ergebnissen der einschlägigen
Forschung. Diese Distanz und Spannung ist der prämodernen
indischen Yoga-Tradition schon deswegen fremd, weil
hier eine weitgehende Kongruenz von Konzeption
(Theorie) und Umsetzung (Praxis) des Yoga besteht.
-
Namhafte
Theosophen - wie Katherine Tingley
(gest.1929), die Präsidentin der „Theosophical
Society“ in Amerika - sind bemüht, eine Art „Gemeinnützigkeit“
des theosophischen Yoga nachzuweisen. Dieser
Versuch einer sozial-orientierten Legitimation des
Yoga steht in deutlichem Kontrast zur
individualistischen Ausrichtung vieler traditioneller
indischer Yoga-Wege.
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Großen
Einfluß auf die hiesige Yoga-Rezeption hatten noch andere
Entwicklungen. Um die Wende zum zwanzigsten Jahrhundert
- und in den Jahren danach - erschienen in
Deutschland zahlreiche Schriften, die völlig neuen
Yoga-Konzepten das Wort redeten. Es waren dies Lehrbücher,
Traktate und Broschüren, die zumeist dem Thema Okkultismus
verpflichtet waren. Wie allgemein bekannt, wurde
Mitteleuropa in jener Zeit von einer Flut
„esoterischer“ Literatur überschwemmt. Zahlreiche
Gruppen, Logen und Zirkel wetteiferten um die Gunst des
Publikums und priesen ihre verheißungsvollen
„Geheimtechniken“ an.
Ganz
auf dieser Linie lagen etwa die Schriften der Berliner
„Talisman Bibliothek“, die zunächst von H.W. Bondegger
(das ist H. Rothweiler) herausgegeben wurde.
Einzelne Titel dieser Reihe, wie „In zwei Stunden nicht
mehr nervös!“ (Bd.
3) oder „Die Bemeisterung des Todes“
(Bd.8), verraten schon von den Formulierungen her
die Diktion ihres Inhalts. Hier wurde der Versuch
unternommen, esoterische Praktiken und Überlieferungen
der ganzen Erde für den „Hausgebrauch“ des modernen
Abendländers nutzbar zu machen. So dienten denn auch
Techniken des indischen Yoga als willkommene Bereicherung
des esoterischen „Speisezettels“.
Von
dem - von allen traditionellen Yoga-Wegen angestrebten -
Ziel einer Befreiung des Individuums aus dem Kreislauf der
Wiedergeburten ist in den von Bondegger herausgegebenen
Schriften keine Rede. Vielmehr handelt es sich bei seiner
„Übersetzung“ um eine Unterweisung in praktischer Magie.
Der Leser soll dadurch befähigt werden, seine
egoistischen Neigungen und Wünsche zu verwirklichen und
seine profanen Kräfte und Fähigkeiten zu vervielfachen.
Der Typus des indischen Yogin ist dagegen der des Mystikers.
Den klassischen indischen Yoga können wir sogar als
mystischen Weg par excellence bezeichnen. Das Ziel des
Yogin ist kein immanentes, sondern ein explizit
transzendentes; auch wenn die Realisierung des Heils -
nach den späteren Yoga-Texten - schon zu Lebzeiten und in
der Welt erreicht werden kann.
Dazu
passen noch zwei andere grundsätzliche Neuerungen, die
durch die genannten Schriften eingeführt wurden: die
Weitergabe von Yoga ohne persönlichen Lehrer (guru) und
die Verbreitung der Yoga-Lehren in und für die breite Öffentlichkeit.
Allerdings
haben diese beiden Neuerungen unterschiedliches Gewicht. Während
ein öffentlicher Zugang zu Yoga-Konzepten bisweilen auch
im alten Indien beobachtet werden konnte (denken wir etwa
an die große Verbreitung der Bhagavadgītā), wiegt die
Weitergabe von Yoga ohne persönlichen Lehrer weitaus
schwerer. Die Anleitung und Betreuung durch einen persönlichen
Lehrer (guru) gehört nach indischer Lesart zu den
konstitutiven Elementen der Yoga-Vermittlung. Der Übergang
von der persönlichen Vermittlung durch einen Lehrer zu
der unpersönlichen Aneignung von Wissen durch ein
Lehrbuch bedeutet somit nicht nur einen Wechsel des
Unterrichts-Mediums. Dieser Übergang markiert vielmehr
einen gravierenden Einschnitt in der neuzeitlichen
Yoga-Rezeption. Ohne diesen Einschnitt wäre das heute überreiche
Angebot an Yoga-Lehrbüchern ebensowenig denkbar, wie die
im Westen inzwischen gewinnbringend vermarktete Idee, man
könne Yoga im Selbststudium, also quasi im
„Do-it-yourself-Verfahren“, erlernen.
Interessanterweise zeitigt diese im Abendland geborene
Idee seit geraumer Zeit auch in Indien Wirkung und hat
dort - in einer Art „Reimport“ - die moderne
Yoga-Szene nachhaltig beeinflußt.
Halten
wir fest, welche bedeutsamen Veränderungen
durch die okkultistischen Strömungen der ausgehenden
Kaiserzeit am importierten Yoga vorgenommen wurden:
-
Der
mystische
Charakter des auf ein spirituelles Ziel ausgerichteten
indischen Yoga wird profanisiert und - teilweise sehr
egoistischen - magischen Zwecken unterworfen.
-
Die
Weitergabe
von Yoga findet vermehrt auf
literarischem Weg statt und blendet
die traditionelle persönliche
Beziehung von Lehrer und Schüler weitgehend aus.
-
Gleichzeitig
wenden sich die einschlägigen literarischen
Erzeugnisse an die breite
Öffentlichkeit.
-
Zusammengefaßt
können wir sagen, dass Bondegger und andere Autoren
mit ihren Schriften die Grundlagen für eine Säkularisierung
und Utilisierung des in Deutschland
praktizierten Yoga legen und damit die deutsche
Yoga-Rezeption erstmals nachhaltig verändern.
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1.4 Die
Anfänge einer eigenständigen Yoga-Praxis (bis
1945)
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Der
erste Weltkrieg - mit seinen eminenten
gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen - tat der deutschen
Yoga-Rezeption keinerlei Abbruch. Vielmehr kam es bereits
in den ersten Nachkriegsjahren zu einer Intensivierung des
allgemeinen Interesses an östlicher Kultur. Als
signifikanter Indikator für diese indienfreundliche
Stimmung mag etwa der Erfolg des Buches „Siddhartha“
von Hermann Hesse stehen, das 1922 erstmals in
Berlin erschien und zu Hesses bekanntesten Frühwerken zählte.
Von
diesem allgemeinen Trend profitierte natürlich auch der
indische Yoga. Die praktische Ausübung von Yoga gewann
gegen Ende der zwanziger Jahre derart an Popularität, dass
G.R. Heyer 1933 auf der ersten „Eranos-Tagung“
in der Schweiz kritisch anmerkte:
„Es
ist Mode geworden, zu introspizieren, zu meditieren, Yoga
zu treiben. Aber nur der innerste Notstand führt legitim
zu solchem Geschehen ... Aber ohne solche wesentlichen
Unterschiede zu beachten, wendet man vielfach Yoga-, Atem-
und Gymnastikübungen, indisch-asketische Diät heute und
hier an.“
Einen
wesentlichen Beitrag zu dieser ersten Popularisierung
des Yoga leistete sicher die zunehmende Anerkennung seiner
Methoden durch die westliche Wissenschaft. Ein bekanntes
Beispiel hierzu sind die Arbeiten des Berliner
Nervenarztes Johannes Heinrich Schultz (1884-1970),
der das sogenannte „Autogene Training“ (AT) begründet
hat. Schultz bezog sich in mehreren seiner Publikationen
direkt auf den indischen Yoga und widmete dem Verhältnis
von Yoga und AT auch eigene Beiträge. In diesem
Zusammenhang ist es vielleicht interessant zu erfahren, dass
Schultz die „Oberstufe“ seines AT noch 1932 als physiopsychologisch
rationalisierten und systematisierten Yoga
bezeichnet hatte ,
während er seit 1950, nachdem sich das AT allgemeine
Anerkennung erworben hatte, methodische Anleihen des AT am
Yoga strikt verneinte.
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Vor
dem zweiten Weltkrieg ließen sich immer mehr Europäer
auf den Yoga ein. Relevante
Akzente für die Aufnahme und Umsetzung des Yoga in
Deutschland wurden in den dreißiger Jahren dabei vor
allem von einem Mann gesetzt: von Boris Sacharow
(1899-1959). Sacharow war nach den vorliegenden Quellen nämlich
der erste, der hierzulande eine Yoga-Schule moderner Prägung
gegründet hat. Aufgrund eigener Aussagen Sacharows und
aufgrund meiner Forschungen, läßt sich jetzt mit
ziemlicher Sicherheit feststellen, wann der Exilrusse
seine Yoga-Schule ins Leben rief: 1939 im Zentrum Berlins.
Sacharow hat demnach von 1939 bis 1943, als seine Schule
ausgebombt wurde, in einer eigenen Institution regelmäßig
praktischen Yoga-Unterricht gegeben. Er sah sich freilich
gezwungen, seine Yoga-Kurse unter dem Tarnnamen
„Indische Körperertüchtigung“
durchzuführen. Der Journalist Hans Daiber
äußert dazu:
„Daß
dies alles möglich war für jemanden, der in der
Hauptstadt des Dritten Reiches lebte, ist erstaunlich.
Sacharow meinte, er habe die Behörden von der
Wissenschaftlichkeit seiner Arbeit überzeugen können.“
Etwa
zur selben Zeit fand in Budapest eine weitere wichtige
Schulgründung statt. Dort taten sich der Südinder
Selvarajan Yesudian (1916-1998) und die Ungarin
Elisabeth Haich (1897-1994) zusammen. Ab 1940
unterrichtete Yesudian im - zur Yoga-Schule
umfunktionierten - Bildhaueratelier von Frau Haich regelmäßig.
Wie Yesudian später berichtete, nahmen an seinem
Unterricht Personen aus allen sozialen Schichten der
ungarischen Gesellschaft teil.
Zunehmende
Kriegswirren forderten freilich auch hier ihren Tribut.
Nach der Zerstörung ihres Domizils Anfang 1945
verlagerten Yesudian und Haich die Yoga-Kurse vorübergehend
nach Pest. Bei Kriegsende kehrten sie an den alten
Standort zurück und unterrichteten noch bis 1948. Dann
jedoch mußte die Yoga-Schule auf Anordnung der
kommunistischen Regierung geschlossen werden und die
beiden Yogalehrer emigrierten in die Schweiz. Dort setzten
sie ihre Arbeit bis Mitte der neunziger Jahre fort.
Mit
Sacharow und Yesudian/Haich wurde also die Yoga-Schule
moderner Prägung ins Leben gerufen. Auf diese Weise fand
die Yoga-Vermittlung in Deutschland ein neues Forum: eine
eigenständige Institution, die regelmäßig - und in der
Regel gegen Entgelt - praktischen Yoga vermittelt und zu
der weite Kreise der Bevölkerung Zugang haben.
Aber
nicht nur in dieser Hinsicht leisteten die genannten
Yogalehrer Pionierarbeit. Sacharow und Yesudian/Haich
bedienten sich in ihrem Unterricht und in ihren
Yoga-Publikationen, die vorwiegend nach dem Krieg
erschienen, einer recht sachlichen Sprache und eines eher
nüchternen Vermittlungs-Stils. Sie hoben zunächst vor
allem auf die Funktionalität und gesundheitliche Wirkung
der von ihnen gelehrten Yoga- Übungen ab. Vergleicht man
ihre Darstellung der Yoga-Techniken mit denen früherer
Lehrbücher (vor 1930), dann wird der Unterschied sofort
augenfällig. Hatten sich die meisten älteren Yoga-Lehrbücher
noch in reißerischen Ankündigungen, vollmundigen
Versprechungen und dunklen Warnungen ergangen, so stand
jetzt eine wohltuende Versachlichung des Themas im
Vordergrund.
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1.5 Stationen
der Yoga-Entwicklung in der BRD und in der DDR (bis 1990)
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Die
deutsche Yoga-Rezeption nach dem zweiten Weltkrieg
erreicht gegenüber der Verbreitung des Yoga vor 1945
bemerkenswerte Ausmaße. Dies gilt vor allem für die
Entwicklung in den alten Bundesländern, die ich in vier
einzelne Phasen unterteilt habe. Auch auf die Geschichte
des Yoga in der DDR soll ein kurzer Blick geworfen werden.
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1.5.1 Yoga
in der BRD: Die erste Phase der Konsolidierung (1945-1955)
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In
den ersten Nachkriegsjahren wurde die bundesdeutsche
Yoga-Szene zunächst durch die beiden Yoga-Schulen geprägt,
die schon während des Krieges aktiv gewesen waren. Die
Schulen von Sacharow und Yesudian/Haich setzten ihre
begonnene Arbeit fort und trugen so zu einer allgemeinen
Konsolidierung der Yoga-Szene bei.
Boris
Sacharow führte nach 1947 in Bayreuth und Nürnberg die Tätigkeit
seiner „Ersten Deutschen Yogaschule (EDY)“ weiter. Er
gab zahlreiche Yoga-Kurse und hatte so eine stetig
wachsende Zahl von treuen Schülern. Sacharow hielt dabei
engen schriftlichen Kontakt mit seinem eigenen
Yoga-Meister, dem indischen Yogin Svāmī Shivānanda
(1887-1963). Shivānanda gilt heute als der Begründer
einer populären Yoga-Richtung, die sich von Indien aus über
nahezu die ganze Welt verbreitete. Mit Sacharow, der 1959
bei einem Autounfall starb, konnte diese Richtung auch in
Deutschland endgültig Fuß fassen.
Auch
die Yoga-Schule von Selvarajan Yesudian und Elisabeth
Haich gelangte in der Zeit nach 1948 zur vollen Blüte.
Die beiden Yogalehrer setzten, wie oben berichtet, ihre Tätigkeit
in der eigenen Schule in Zürich fort und initiierten in
den darauffolgenden Jahren ein ganzes Netz von
Zweigstellen in mehreren Schweizer Städten. Die
„Yoga-Schule Yesudian-Haich“ avancierte so zu einer
der größten und bekanntesten Einrichtungen ihrer Art in
Europa. Einschlägige Publikationen von Yesudian und Haich
erlangten sogar Weltgeltung. So erschien das Buch „Sport
+ Yoga“, das beide Autoren im Jahre 1949 in der ersten
deutschsprachigen Auflage herausbrachten, 1984 in München
bereits in der 29.Auflage. Mit einer Übersetzung in 18
verschiedene Sprachen und über 3 Millionen verkauften
Exemplaren dürfte es wohl das am meisten verbreitete
westliche Yoga-Buch der Gegenwart sein.
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Neben
den großen Schulen von Sacharow und Yesudian/Haich waren
in der ersten Phase der Nachkriegsentwicklung vor allem
drei bekannte Fach-Autoren in der Ausbreitung des Yoga
aktiv:
-
der
Yoga-Schriftsteller Heinrich Jürgens (1880-1966),
der schon in den dreißiger Jahren zum Thema Yoga
publiziert hatte;
-
der
Yoga-Schriftsteller Felix Riemkasten (1894-1969),
der neben seiner literarischen Tätigkeit ab 1953 eine „Hatha-Yoga-Schule“
in Stuttgart aufbaute;
-
der
Yoga-Schriftsteller Hans Ulrich Rieker (1920-1979),
der 1952 - unter dem Mönchsnamen Dapa Kassapa - in
den buddhistischen Orden „Arya
Maitreya Mandala“
eintrat.
Betrachtet
man die bekannten deutschen Yoga-Schriftsteller der frühen
Nachkriegszeit (Sacharow, Yesudian/Haich, Jürgens,
Riemkasten und Rieker) unter einem Blickwinkel, dann fällt
folgende Gemeinsamkeit auf: Alle genannten Autoren waren
auch in der praktischen Weitergabe des Yoga aktiv, in der
Regel sogar mit eigenen Yoga-Schulen. Damit wirkten sie
gleichermaßen auf der theoretischen wie praktischen Ebene
der Yoga-Rezeption und trugen sehr zu deren Konsolidierung
in der Gesellschaft bei.
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1.5.2 Yoga
in der BRD: Die zweite Phase der Institutionalisierung (1956-1966)
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Die
zweite Phase der westdeutschen Yoga-Entwicklung zeichnet
sich durch eine vermehrt einsetzende Gründung diverser
Yoga-Institutionen aus. Neben weiteren Yoga-Schulen treten
nun erstmals private Einrichtungen in Erscheinung, die
sich mit sogenannter „angewandter Yoga-Forschung“ befassen.
Einer
der ersten Yogalehrer, die in dieser Richtung aktiv
wurden, war Winfried Eggert. Eggert hatte schon
1956 begonnen, einen „Bund der Yoga-Freunde in
Deutschland“ aufzubauen. Dieser Bund zählte 1961
angeblich über 600 Mitglieder.
Wenn
es einen Mann gab, der seit dem Ende der fünfziger Jahre
Entscheidendes für die Vernetzung und
Institutionalisierung der westdeutschen Yoga-Szene getan
hat, dann war dies Otto-Albrecht Isbert
(1901-1986). Isbert hatte sich bereits als
Yoga-Schriftsteller einen Namen gemacht, als er am 1. April
1962 in Freudenstadt das „Deutsche Yoga-Institut für
Forschung, Lehre und Praxis e.V.“ (DYI) gründete. Das „Deutsche Yoga-Institut“ entwickelte
bis 1977 zahlreiche Aktivitäten und gab der westdeutschen
Yoga-Szene vielfältige Impulse. Nach 1977 - drei Jahre
nach dem Ausscheiden Isberts - stagnierte die
Institutsarbeit allerdings.
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1.5.3 Yoga
in der BRD: Die dritte Phase der Organisation (1967-1979)
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Mit
dem Jahr 1967 setzt die dritte Phase der bundesdeutschen
Yoga-Entwicklung ein, in der die beiden großen Yoga-Verbände
ihre Wirksamkeit beginnen. Die Zeit bis 1979 steht daher
unter dem Zeichen einer nachhaltigen Mobilisierung und
Organisation der hiesigen Yoga-Szene.
Ende
April 1967 trafen sich in Berlin namhafte westdeutsche
Yogalehrer. Die Einladung hierzu war von Dr. Isbert - im
Namen des DYI - ergangen. Isbert hatte schon seit 1964
zielstrebig auf die Schaffung eines Fachverbandes für
Yoga-Lehrkräfte hingewirkt. Schließlich kam es zu dem
genannten Treffen in Berlin, bei dem dann am 1. Mai
1967 von 18 anwesenden Yogalehrer/innen ein eigenständiger
„Berufsverband Deutscher Yogalehrer e.V.“
(BDY) gegründet wurde.
Der BDY verabschiedete 1979 seine „Rahmenrichtlinien für
die Ausbildung zum Yogalehrer“. Damit lag erstmals eine
bundesweite Ausbildungsordnung für Yoga-Lehrkräfte vor,
die auch den Arbeitsämtern zugänglich gemacht wurde.
Durch
eine Spaltung des „Deutschen Yoga-Instituts“ auf dem
„Ersten Deutschen Yoga-Kongreß“
im Mai 1970 kam es am 1. Juni 1970 zur Gründung
der „Deutschen Yoga-Gesellschaft e.V.“ (DYG).
Vorsitzender dieser neuen Organisation war bis 1973 der
Kurarzt Hans-Gottfried Schmidt.
Beide
Verbände, der „Berufsverband Deutscher Yogalehrer“
und die „Deutsche Yoga-Gesellschaft“, waren von 1975
bis 1979 durch einen gemeinsamen Dachverband - die „Deutsche
Yoga-Union“ - verbunden. In jenen Jahren gab es auch
eine intensive Kooperation beider Vereine auf der
organisatorischen und inhaltlichen Ebene. Seit 1979 gehen
BDY und DYG aber wieder ihre eigenen Wege.
Die
Gründung und Expansion der beiden genannten Verbände fällt
in eine Zeit, in der die westdeutsche Yoga-Rezeption einen
regelrechten Boom erfuhr. Dieser Boom, der mit dem
Beginn der siebziger Jahre einsetzt, spiegelt sich auch in
der nunmehr stark einsetzenden Präsenz des Yoga in den Medien
wieder. Umgekehrt regte diese Medienpräsenz die Nachfrage
nach Yoga noch mehr an.
So
lief etwa seit Ende 1973 in der „Sportinformation“ des
„Zweiten Deutschen Fernsehens“ (ZDF) der fünfminütige
Beitrag „Yoga für Yeden“, der von der
deutsch-kanadischen Yogalehrerin Kareen Zebroff
moderiert wurde. Der Beitrag fand offenbar so viel
Anklang, dass das ZDF sich entschloß, Frau Zebroffs
Tele-Kursus ab Anfang 1975 in die beliebte Sendung
„Drehscheibe“ aufzunehmen. Der damalige Chef der
ZDF-Sportredaktion, Hanns Joachim Friedrichs, kommentierte
den ungewöhnlichen Erfolg der Darbietung mit den Worten:
„Gesegnetes Timing. Wir müssen einen rohen Nerv
getroffen haben.“
Die
große Popularität, die der Yoga in jenen Jahren gewann,
veranlaßte den „Spiegel“ im Januar 1975 zu einer ausführlichen
Titelstory über das Thema: „Volkssport Yoga - Heil
aus dem Osten?“ Die Ausweitung der Yoga-Rezeption
sollte dort mit eindrucksvollen Zahlen belegt werden:
„Yoga,
die Kunst der leib-seelischen Selbstkontrolle, ist dabei
zu einer Art Volkssport mit tieferer Bedeutung geworden:
Mindestens 100.000 Westdeutsche, schätzen Experten,
turnen tagtäglich die komplizierten Yoga-Figuren ... und
der Zustrom schwillt stetig an.“
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1.5.4 Yoga
in der BRD: Die vierte Phase der Professionalisierung (1979-1990)
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Die
Auflösung der „Deutschen Yoga-Union“ im Herbst 1979
steht gleichzeitig für den Übergang in eine neue Phase
der bundesdeutschen Yoga-Geschichte. Diese Phase zeichnet
sich weniger durch organisatorische Neuerungen aus. In ihr
treten vielmehr andere Bestrebungen in den Vordergrund,
die zusammenfassend als Professionalisierung der
Yoga-Rezeption gewertet werden können. Ich möchte drei
wichtige Aspekte dieser Entwicklung kurz ansprechen:
-
Die beiden großen Yoga-Verbände (BDY, DYG), aber
auch andere Institutionen, bemühen sich um eine Standardisierung
und qualitative Sicherung der Ausbildung zum/zur
Yogalehrer/in. Damit einher geht der Versuch, staatliche
Anerkennung für bestimmte Ausbildungsgänge zu erlangen
oder zumindest verbindliche „Mindestanforderungen“ für
die Zulassung zum Yogalehr-Beruf durchzusetzen.
-
Einzelne Bereiche der Yoga-Praxis erfahren eine
Erweiterung und Vertiefung. So rückt beispielsweise eine
spezifische Yoga-Therapie stärker ins Blickfeld
der Öffentlichkeit.
Die praktische Weitergabe von Yoga wird also immer häufiger
mit therapeutischen Zwecken verbunden. Diese Entwicklung
steht sicher in Zusammenhang mit dem deutlichen Image- und
Vertrauensverlust, den die westliche Schulmedizin in den
letzten beiden Jahrzehnten erlitten hat.
-
Gleichzeitig ist nun eine zunehmende Vernetzung
von Yoga-Forschung und Yoga-Praxis zu beobachten. Hier
verstehen sich vor allem einige deutsche Yoga-Institute
als „Schnittstelle“ zwischen der wissenschaftlichen
Exploration und der praktischen Anwendung bestimmter
Yoga-Techniken.
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1.5.5
Yoga in der DDR – eine kurze Übersicht
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Die
Yoga-Entwicklung in der DDR, die ein weiteres Kapitel der
deutschen Yoga-Rezeption darstellt, konnte in meiner 1990
erschienenen Dissertation noch keinen Eingang finden.
Daher möchte ich hier einige Aspekte dieses interessanten
Themas nachtragen.
In
den fünfziger, sechziger und den frühen siebziger Jahren
kann in der DDR noch nicht von einer nennenswerten
Yoga-Szene gesprochen werden. Diese Situation war vor
allem bedingt durch die skeptische oder sogar ablehnende
Haltung maßgeblicher Parteifunktionäre der SED und
anderer Blockparteien, die im Yoga in erster Linie eine religiöse
Praktik sahen. Für viele Verantwortliche in Staat und
Gesellschaft der DDR war Yoga damit auch Teil des „Opium
des Volkes“ (Karl Marx) ,
das dem revolutionären und materialistischen Anspruch der
sozialistischen Ideologie entgegenstand. Entsprechend
ablehnend war die Haltung der gesellschaftlichen
Institutionen und der Massenorganisationen gegenüber
einer Ausübung von Yoga. Ende der fünfziger Jahre gab es
sogar einen offiziellen Beschluß des „Deutschen Turn-
und Sportbundes“ (DTSB) der DDR, der Yoga als
„schlimmen Mystizismus“ deklarierte und quasi ein
„Yoga-Verbot“ für alle vom DTSB organisierten
Veranstaltungen aussprach.
Andererseits zeigt dieses Verbot auch, dass einzelne
Yoga-Aktivitäten bereits zu jener Zeit existiert haben müssen.
Ansonsten wäre ein ausdrückliches Verbot derartiger
Aktivitäten sicher überflüssig gewesen.
Eine
spürbare Änderung dieser Umstände brachte erst die Veränderung
der politischen Großwetterlage mit sich. Nach dem
Einsetzen des ersten Tauwetters zwischen Ost und West –
etwa mit dem Abschluß des „Grundlagenvertrages“
zwischen der Bundesrepublik und der DDR im Dezember 1972 -
und einigen politischen und gesellschaftlichen Reformen
des Politbüros der DDR unter Erich Honecker wurde in den
siebziger Jahren auch die Haltung vieler DDR-Offizieller
gegenüber dem Yoga freundlicher.
So
berichtete der „esotera“-Redakteur Claus Claussen 1977
in einem Artikel über die bundesdeutsche Yoga-Szene von
einer Serie „Yoganastik für jedermann“, die zu jener
Zeit in der Ostberliner „National-Zeitung“ erschien.
Ein
wichtiger Meilenstein in der Etablierung und Absicherung
einer eigenen Yoga-Szene in der DDR war dann die Gründung
des „Arbeitskreises für Yoga und altindische
Medizin“ in Leipzig. Dieser Arbeitskreis „...
konstituierte sich 1979 als ein Gremium am Yoga
interessierter Indologen, Ärzte, Naturwissenschaftler,
Physiotherapeuten, Sportlehrer und Laien, die aus jeweils
ihrer Sicht eine interdisziplinäre Diskussion über
Geschichte, Quellen, wissenschaftliche Hintergründe,
Anwendung, Heilwirkung und praktische Erfahrung führen.“
Initiator
und Mitbegründer dieses Arbeitskreises war der Leipziger
Diplom-Ethnologe Heinz Kucharski (1919-2000). Durch
seine Tätigkeit am Leipziger Museum für Völkerkunde
konnte Kucharski dem Arbeitskreis einerseits Räume und
Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung stellen und
andererseits die Protektion der Museumsleitung angedeihen
lassen. Auch die akademische Ausrichtung des Gremiums und
das wissenschaftliche Renommee seiner Mitglieder trugen
dazu bei, dass der Arbeitskreis trotz staatlicher Überwachung
in seinen Aktivitäten unbehelligt blieb.
Der
Leipziger Arbeitskreis führte in den Jahren nach seiner
Gründung auch regelmäßige öffentliche Veranstaltungen
zum Thema Yoga durch. Es handelte sich dabei meist um
Vorträge über verschiedene Aspekte des Yoga mit
begleitenden Demonstrationen von Yoga-Übungen. Die
Veranstaltungen waren in der Regel sehr gut besucht,
teilweise begehrten mehrere hundert Personen Einlaß in
den Vortragssaal. Durch die Verknüpfung der
theoretischen, wissenschaftlich abgesicherten Vorträge
mit praktischen Yoga-Vorführungen gelang es dem
Arbeitskreis, eine noch vorhandene Skepsis der Bevölkerung
gegenüber den „orientalischen Leibesübungen“ allmählich
abzubauen.
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Neben
Kucharski und anderen Aktiven taten sich in jener Zeit
besonders zwei Mitglieder des Leipziger Arbeitskreises in
der Förderung des Yoga hervor: Prof. Dr. Fritz Klingberg
und Dr. Dietrich Ebert.
Der
Mediziner Fritz Klingberg machte sich vor allem als
Neurophysiologe einen Namen und forschte in diesem Kontext
auch über Yoga. Zusammen mit Heinz Kucharski hielt
Klingberg ab 1977/78 zahlreiche Vorträge über Yoga in
vielen Städten der DDR. 1979 kam es dann sogar zu einer
ersten Fernsehdiskussion über Yoga. Bekannt wurde
Klingberg auch im Westen durch seine zwölfteilige
Artikelserie „Yoga“, die von Januar bis Dezember 1984
in der populären Ostberliner Zeitschrift „Deine
Gesundheit“ abgedruckt wurde. Wegen der großen
Nachfrage wurde dieser praktische Yoga-Kurs (mit
theoretischen Erläuterungen) 1986 in einem Sonderheft mit
250.000 Exemplaren verbreitet und war bald vergriffen. Da
als Herausgeber dieser Zeitschrift das „Nationale
Komitee für Gesundheitserziehung der DDR“ fungierte,
kann die Veröffentlichung der Artikelserie Klingbergs als
deutliches Anzeichen einer beginnenden Rehabilitierung und
Anerkennung des Yoga durch staatliche Gremien der DDR
betrachtet werden.
Einen
weiteren Schub in diese Richtung bewirkte die Forschungstätigkeit
des Leipziger Mediziners Dietrich Ebert. Ebert gehört
zu den Mitbegründern des „Arbeitskreises für Yoga“
und begann schon ab 1974 mit einer systematischen Sammlung
wissenschaftlicher Yoga-Literatur. Seit 1979 führte er an
der Leipziger Universität physiologische
Laboruntersuchungen zu einigen Effekten der Yoga-Praxis an
in die DDR gereisten oder dort lebenden Indern durch. Später
erweiterte er diese Messungen durch Untersuchung auch
ostdeutscher Yoga-Probanden. Ende 1983 stellte Ebert das
Manuskript für sein Buch „Physiologische Aspekte des
Yoga und der Meditation“ fertig, das 1986 beim „VEB
Georg Thieme Verlag“ in Leipzig erschien.
Das
Erscheinen von Eberts Buch markiert denn auch den endgültigen
Durchbruch in der öffentlichen Anerkennung des Yoga in
der DDR. Spätestens Mitte der achtziger Jahre hatten sich
Yoga-Kurse in nahezu jeder größeren Stadt der DDR
etabliert. Teils wurden diese Kurse privat durchgeführt,
teils aber auch von staatlichen Institutionen oder von
Einrichtungen der Massenorganisationen (FDGB etc.)
getragen. Die zunehmende Wertschätzung der Yoga-Techniken
als geeignete Praxis für die gesundheitliche Prophylaxe
und als (begleitende Maßnahme zu einer) Therapie machte
es schließlich sogar möglich, dass Dietrich Ebert
bereits im Juni 1989 an einem wissenschaftlichen Symposium
zum Thema „Yoga - Körper – Geist“ in Düsseldorf
teilnehmen konnte. Derartige Kontakte zur westlichen
Yoga-Szene wurden mit dem Fall der Mauer Ende 1989 natürlich
erheblich intensiviert und erweitert.
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1.6
Aktuelle Tendenzen in der gesamtdeutschen Yoga-Szene (seit
1990)
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Zum
Abschluß meines historischen Überblicks möchte ich noch
auf aktuelle Tendenzen der deutschen Yoga-Szene zu
Sprechen kommen:
-
Mit dem neuen Jahrtausend werden auch hierzulande
Angebote wie „Power-Yoga“, „Fitneß-Yoga“,
„Yoga-Gymnastik“ etc. immer beliebter. Ihren
Ursprung haben viele dieser neuzeitlichen Yoga-Formen
zumeist in den USA. Dort setzte ab Mitte der neunziger
Jahre – zunächst in Kalifornien – ein regelrechter
Boom an Methoden ein, die einerseits sehr dynamische Yoga-Übungen
entwickelten und andererseits begannen, Yoga mit anderen Körperpraktiken
– wie Stretching, Aerobic, Tanz etc. – zu kombinieren.
Bekannter wurden diese neuen Trends bei uns nicht zuletzt
durch zahlreiche Beiträge vor allem der Printmedien aus
dem Bereich der Frauen- und Männerzeitschriften,
Gesundheits- und Lifestyle-Magazine. Das dort abgedruckte
Bekenntnis zahlreicher Prominenter zum Yoga verleiht den
angepriesenen „Power-Yoga“-Formen natürlich zusätzliche
Attraktivität. Es ist daher sicher nicht falsch, diesen
Trend als modernen
Lifestyle-Yoga zu bezeichnen, der zunehmend auch in
Fitneß- und Gymnastik-Studios seine Heimat findet.
-
Damit einher geht eine gesellschaftliche Tendenz,
die zunehmend auch im Yoga ihren Niederschlag findet: das
Bedürfnis und Bestreben nach einer Ich-Stärkung
der Persönlichkeit. Ich beobachte diese Entwicklung etwa
bei Menschen, die sich bei uns für eine Ausbildung
zum/zur Yogalehrer/in bewerben. Immer häufiger melden
sich Frauen und Männer, die (fast) ohne eigene
Yoga-Praxis auf die Idee kommen, sofort den Yoga an andere
weitergeben zu wollen, nicht selten verbunden mit der
Aussage: „Ich habe doch etwas mitzuteilen“.
Eine solche ichbezogene Einstellung, die die Schülerschaft
im Yoga glatt aussparen möchte, war bis vor wenigen
Jahren noch kaum anzutreffen.
-
Fassen wir diese beiden Punkte zusammen, dann läßt
sich verdichtet sagen: Ein Großteil der hiesigen
Yoga-Klientel zeigt sich zunächst nur an der Verbesserung
ihrer physischen und psychischen Leistungsfähigkeit
interessiert. Salopp ausgedrückt: Muskeln und Ego
sollen dank Yoga wachsen. Die spirituellen Dimensionen des
Yoga werden hier zunächst fast völlig ausgeblendet. Mit
dieser modernen westlichen Entwicklung kann - aus
religionswissenschaftlicher Sicht - nun endgültig von
einer Säkularisierung
(Verweltlichung) des
Yoga gesprochen
werden.
-
Es gilt freilich auch hier: Keine Regel ohne
Ausnahme. Langfristige Beobachtungen der Yoga-Szene legen
nahe, dass Menschen, die länger als drei Jahre Yoga
praktizieren, ihre Erwartungshaltung gegenüber dem Yoga
zu verändern beginnen. Stehen am Anfang des Yoga-Übens
zumeist körperorientierte Motive - wie der Wunsch nach
„Fitneß“ und „Entspannung“ - im Vordergrund, dann
nennen langjährige Übende eher Ziele wie „Selbst-
und Seinserfahrung“ und fühlen sich durch Yoga auch
insgesamt „religiöser gestimmt“.
Insofern wird abzuwarten bleiben, ob diese Beobachtung aus
der Vergangenheit auch für die neue Generation der
„Lifestyle-Yogis“ zutreffen wird.
Damit
kann festgehalten werden, dass dem populären Trend, einen
säkularisierten Yoga als ideales Fitneß- und
Entspannungssystem anzusehen, ein anderer „Trend“
entgegensteht:
Hier ist Yoga dann in erster Linie Hilfe zur
„Selbstfindung“, ein begleitender Weg zur Bewältigung
von Sinn- und Lebenskrisen, und nicht zuletzt auch Ergänzung
zu oder Ersatz für die angestammte (meist christlich geprägte)
Religiosität, in die der jeweilige Mensch sozialisiert
wurde. In Yoga-Kreisen wird für die Beschreibung dieses
Themenfeldes gerne der Begriff „spirituelle Erfahrung“
verwendet. Diese
Geisteshaltung ist dann wiederum der Auffassung von Yoga
wesentlich näher, wie wir sie im traditionellen Indien
finden.
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Fazit:
Die zeitgenössische deutsche Yoga-Szene erscheint
vielschichtig und widersprüchlich. Populäre Tendenzen
einer radikalen Säkularisierung des Yoga kontrastieren
mit ernstzunehmenden Versuchen, Yoga als bewährten Mittel
der Selbst- und Seinsfindung und als spirituellen Weg
einzusetzen. Die Zukunft des Yoga in Deutschland bleibt
also spannend.
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Dieser Artikel fußt
weitgehend auf den Forschungsergebnissen, die ich im
Rahmen meiner Dissertation gewonnen habe. Vgl.:
C.Fuchs, Yoga in Deutschland. Rezeption -
Organisation - Typologie , Stuttgart (Kohlhammer
Verlag) 1990.
|
Vgl.: R. Schmidt, Fakire
und Fakirtum im
alten und modernen Indien, Berlin 1908.
|
H.P. Blavatsky, Die
Geheimlehre, 4 Bände, Den Haag (Verlag J.J.
Couvreur) ohne Jahr, Bd.3, 491.
|
F. Hartmann, Radscha
Yoga - Hatha Yoga und Tantrika oder Weiße und
schwarze Magie und Hexerei, Calw
(Schatzkammerverlag) ohne Jahr, 122.
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In der modernen Theosophie
- nach 1945 - konnte sich diese radikale Ablehnung des
Hatha-Yoga allerdings nicht halten. Und heute findet
man in einzelnen theosophischen Zeitschriften sogar
eine vorsichtige Propagierung ausgewählter
Hatha-Yoga-Übungen.
|
G.R. Heyer, Sinn und
Bedeutung östlicher Weisheit für die abendländische
Seelenführung, in: Olga Fröbe-Kapteyn (Hg.),
Eranos-Jahrbuch 1933 , Zürich 1934, 226 und 235.
|
J.H. Schultz, Oberstufe
des autogenen Trainings und Raya-Yoga, in:
„Zeitschrift für die gesamte Neurologie und
Psychiatrie“ Bd.139 (1932), 34.
|
Vgl. dazu Schultz`s
Aussage: „Es wird, besonders von Journalisten, sehr
oft behauptet, das autogene Training käme vom Yoga.
Das ist sachlich falsch; das autogene Training hat
sich aus der ärztlichen europäischen Hypnose
entwickelt.“; in: ders., Autogenes Training und
Yoga, in: W. Bitter (Hg.), Abendländische
Therapie und östliche Weisheit, Stuttgart 1968,
166.
|
Vgl. dazu meinen Artikel:
C. Fuchs, Yoga in Deutschland, in: „BDY-Information“
[Zeitschrift des „Berufsverbandes der Yogalehrenden
in Deutschland e.V.“] Nr.5-1990, 13-16.
|
H. Daiber, Soiree: Selbstschau im Kopfstand - Westöstliche
Erfahrungen mit Yoga, Skript zur gleichnamigen
Sendung des Südwestfunks (SWF II) vom 22.4.1978, 40f.
|
Seit Oktober 1998 heißt der BDY nach einer Satzungsänderung:
„Berufsverband der Yogalehrenden in Deutschland
e.V.“.
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Vgl. dazu den Titelbeitrag: Volkssport Yoga –
Heil aus dem Osten?, in: „Der Spiegel“
Nr.5-1975, 92.
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ebenda
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Vgl. dazu etwa: S. Feuerabendt + O. Hammer, Yogatherapie
– Der natürliche Weg zur Gesundheit, München
1987. Dabei ist hervorzuheben, dass Koautor Dr. med.
Oscar Hammer nicht nur Chefarzt verschiedener
Kurkliniken in Bad Nauheim war, sondern dort auch äußerst
erfolgreich Yoga in der Raucherentwöhnung als
Pilotprojekt eingesetzt hat (vgl. ebenda, 263ff.).
|
Das Zitat von Karl Marx wird meist inkorrekt als
„Religion ist Opium für das Volk“ wiedergegeben.
Der genaue Wortlaut des Zitates ist aber: „Die
Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das
Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist
geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des
Volkes.“ - Vgl. dazu auch: H. Gollwitzer, Exkurs zu
dem Ausdruck „Opium des Volkes“, in:
Marxismus-Studien IV, Tübingen 1962, 14-19.
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Leider liegt mir der wörtliche Text dieses
DTSB-Beschlusses auf Grund der schlechten
schriftlichen Quellenlage nicht vor. Diese und weitere
Informationen stammen aus einem Interview, das ich am
25.August 1992 in Leipzig mit Heinz Kucharski, dem
ersten Vorsitzenden des „Arbeitskreises Yoga
Darshana“ geführt habe.
|
Vgl.: C. Claussen, Konfrontation mit Yoga, in
„esotera“ Nr.11-1977,
1002.
|
Aus einer Selbstdarstellung des Arbeitskreises
„Yoga-Darshana“ vom September 1992.
|
Vgl.: Dietrich Ebert, Physiologische Aspekte des
Yoga und der Meditation, Leipzig (VEB Georg Thieme
Verlag) 1986; Lizenz-Auflage: Stuttgart (Gustav
Fischer Verlag) 1986.
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Nach Aussage mehrerer ostdeutscher Informanten, wäre
bei einem Fortbestehen der DDR über 1990 hinaus sogar
eine staatliche Förderung von Yoga-Kursen möglich
gewesen.
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Vgl. dazu exemplarisch: Der
Super Wellness-Trend aus USA: Das Neue Power-Yoga,
in: „Freundin“ Nr.8-1999, 56ff.
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Vgl. dazu meinen Beitrag: C. Fuchs, Ich
will Yogalehrer werden. Warum immer mehr Menschen
Yogalehrer und immer weniger Yogaschüler sein möchten,
in: „Yoga aktuell“ Nr.10-(Okt./Nov.) 2001, 20-22.
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Vgl. hierzu exemplarisch: Sonja Gehlen, Veränderungen
des Selbst-Ausdrucks durch Dauerlaufen und Yoga-Übungen.
Eine empirische Studie, „Erste Staatsarbeit“
an der Gesamthochschule Paderborn 1982.
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Vielleicht ist es in diesem Zusammenhang sogar
richtiger, nicht von gegenläufigen Trends zu
sprechen, sondern eher von sich ergänzenden und
sich entwickelnden Lebensentwürfen in den
komplexen Biographien moderner Menschen.
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